[Pixel 7 pro] Ambivalenz aushalten
von Stefan Senfveröffentlicht amOh, es gäbe viel zu schreiben seit April. Das meiste davon würde vom Leben erzählen. Davon, dass man sich viel vornehmen kann und dann vieles ganz anders kommt. Wie es ist, gegen wechselnde Winde zu kreuzen und zu lernen, damit völlig einverstanden zu sein. Das sind gleichwohl Themen, die eher den Rahmen dieses Blogs bilden. Der Inhalt ist Fotografie und Skizze. Und da fühlen sich die letzten vier, fünf Monate schon etwas anders an.
Meine Selbstwahrnehmung ist es, über den Sommer praktisch nichts Kreatives zustande gebracht zu haben. Wenig, das sich herzeigen oder über das sich schreiben ließe. Gleichzeitig war ich zweimal im Urlaub, war auf Instawalks und Sketchcrawls, habe hunderte Fotos und zumindest ein, zwei Hände voll Zeichnungen gemacht. Das wirkt jetzt ein bisschen ambivalent.
Der liebe Oliver hat kürzlich über seine neue Freude an einem neuen Objektiv geschrieben. Ich interpretiere Ihn so, dass die Beschränkung auf eine Brennweite (in seinem Fall 40 mm äquivalent, also eine etwas vergessene, früher aber sehr gebräuchliche Normalbrennweite) Ihm zu Konzentration und zu Impulsen verhilft, denen ein Zoom oder ein alles-immer-drauf-Weitwinkel im Wege stünden. Etwas, das mir sehr entspricht. Meine Lieblingsbrennweite variiert von Zeit zu Zeit. Aber die positive Wirkung der Beschränkung auf nur einen Aufnahmewinkel kenne ich gut.
Am Rande erwähnt Oliver, dass sein Mobiltelefon kaum zu fotografischem Einsatz kommt. Und hier kommt die nächste Ambivalenz, denn hier kann ich das glatte Gegenteil berichten. Trotz aller Zuneigung zur DSLR, trotz des haptischen Vergnügens und des geliebten Blicks durch den optischen Sucher, trotz der segensreichen Wirkung der Selbstbeschränkung auf nur eine Brennweite und trotz der nicht nachzuahmenden Bildanmutungen besonderer Objektive folgt jetzt also ein Lob auf mein neues Smartphone.
Morgen erscheint das Pixel 8 pro von Google. Höchste Zeit, noch einmal über seinen Vorgänger zu berichten. Das das Pixel 7 pro habe ich hauptsächlich wegen seiner Kamera(s) gekauft. Es kommt mit drei Kameramodulen:
- 12 mm (äq) Ultraweitwinkel (12 MP, Autofokus, Makro, f 2.2),
- 24 mm (äq) Hauptkamera (50 MP, Pixelbinning, f 1.85) und
- 120 mm (äq) Periskop-Teleobjektiv (48 MP, Pixelbinning, f 3.5)
Die App erzeugt mit dieser Hardware in allen Zoomstufen Bilder mit 12 Megapixeln, unabhängig davon, ob man die Daten als jpg oder als dng (‘RAW’) speichert. Das 24 mm-Objektiv verfügt über eine zweite ‘harte’ Einstellung (2x) bei ca. 48 mm. Dabei werden dann nur die Pixel in Sensormitte verwendet, das Pixelbinning (also das Verknüpfen von jeweils 4 Pixeln, um weniger Rauschen und eine bessere Bildqualität zu erhalten) fällt dann weg. Das Teleobjektiv hat so eine zweite Stufe nicht, weil Google im Telebereich softwaretechnisch noch ganz andere (KI-) Geschütze auffährt. Tatsache ist, dass das Pixel 7 pro mindestens bis zu einer Brennweite von 240 mm (äq) detailreiche und artefaktarme Bilder ausspuckt, die eine durchaus natürliche Bildwirkung haben. Im Bereich bis 720 mm (äq) wird es dann zunehmend gröber und künstlicher. Selbst in diesem Bereich kommen aber noch Bilder zustande, die bei gutem Licht für die Betrachtung auf dem Smartphonebildschirm ausreichend sind. 720 mm äquivalente Brennweite in einem Gerät, das weniger als 10 mm dick ist. Leider erkennt man die Zoomstufe oberhalb von 120 mm nicht in den EXIFs.
Technik fasziniert mich, gleichzeitig ist sie aber irrelevant. Was zählt, ist das Ergebnis.
Eine DSLR hilft mir, mich zu konzentrieren. Sie hilft mir zu komponieren, zu reduzieren, sie verlangt Entscheidungen von mir. Insbesondere wenn ich manuell belichte ([schnell und schlampig] In 3 Schritten zur manuellen Belichtung - Stefan Senf Motivprogramm) Mit einem Smartphone zu fotografieren ist anders. Oliver sagte mir kürzlich, er könne am Display schlichtweg keine Bilder komponieren. Ich verstehe das. Das ist der Grund, warum ich nie ganz zu einer spiegellosen Kamera gewechselt bin. Aber auch hier habe ich ambivalente Ansichten. Es ist fast trivial: Das Smartphone ist die Kamera, die ich immer dabei haben kann und die ich de facto auch immer dabei habe. Es ist unglaublich niederschwellig, beim Pixel 7 pro doppelt auf den Einschaltknopf zu drücken und sofort eine ziemlich vielseitige Kamera in der Hand zu halten. Eine Kamera, sozusagen mit vier, fünf Festbrennweiten (12, 24, 48, 120 und bei guter Qualität weiter bis 240 mm). Eine Kamera, die kaum technische Entscheidungen von mir fordert, sondern nur Inhalte und eine Komposition. Eine Kamera, die fertige Bilder produziert, an denen man nichts nachbearbeiten muss (aber kann).
Denn so ist das! Google investiert offenbar viel in eine gute Bildverarbeitung. Die Bilder wirken detailreich und scharf, bleiben im Detail aber noch weich, ohne Stufen oder Ränder. Sie sind in Lichtern und Schatten gut durchgezeichnet, aber ohne HDR-Halos und mit satten Kontrasten. Ich könnte es in Lightroom kaum besser machen. Die Nachbearbeitung (auf dem Gerät) beschränkt sich also auf die Festlegung von Tiefenschärfe (das macht man kurioserweise am besten erst nach der Aufnahme - das Ergebnis ist feiner steuerbar), das Ausrichten, Zuschneiden und ggf. das Entfernen von störenden Bildelementen. Natürlich kann man dem Bild auch noch einen besonderen Look verpassen, die Auswahl an fertigen Presets ist groß. Aber das ist alles freiwillig. 'Fertig' und verwendbar ist ein Bild direkt nach der Aufnahme.
Und so finde ich mich mitten im Dilemma. Soll ich den Nimbus pflegen, mit ehrlichem Werkzeug am Auge, mit sicherem Stand und festem Griff. Mit Zeit und Abwägung. Mit der Haltung, dass ein Bild erst fertig ist, wenn es auf Papier vor mir liegt (oder wenigstens, wenn es aus Lightroom exportiert wurde). Oder soll ich die Leichtigkeit und Oberflächlichkeit des Smartphones umarmen. Mich an der Niederschwelligkeit freuen, die mit dem Pixel nochmals größer geworden ist als beim Motorola One Zoom?
Ich halte die Ambivalenz aus. Ich hatte in diesem Urlaub nur das Telefon dabei. Mir war klar, dass ich kaum Zeit gehabt hätte, mich allein auf die Fotografie einzulassen. Denn dafür bleibt die große Kamera meine erste Wahl: Für kleine Projekte ('Bright Black' ) oder einen Instawalk, für geplante Fotosessions oder Streifzüge in die Natur. Wenn es aber weniger planvoll und eher situativ ist, dann ist das Pixel mittlerweile so eine überzeugende Kamera, dass ich keinerlei Vorbehalte mehr habe, mich auf sie zu verlassen. Im Urlaub, auf Ausflügen, im Alltag. Aber durchaus auch für Street Photography oder für alle Situationen mit sehr wenig Licht.
Alle Bilder stammen von unserem Sommerurlaub: 3 Wochen mit einem winzigen Wohnwagen durch Dänemarks Osten: Fünen, Möns Klint, Kopenhagen. Das Wetter durchgehend kühl aber oft spektakulär, das Land an jedem Ort ganz unterschiedlich, die Leute aber überall freundlich und offen.
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Oliver schrieb am 3. Oktober 2023
Lieber Stefan,das ist schon viel Content für die paar Monate. :-)Ich bin von der technischen Fähigkeiten deines Smartphones doch sehr beeindruckt. Erzeugt es doch wirklich magisch perfekte Bilder. Die KI-gestützten automatischen Software-Anpassungen ist durchaus perfekt. Respekt!Meine Unfähigkeit an dem Smartphone komponieren zu können kommt weniger vom Display als vom Display.Ich habe keinerlei Probleme an meinen Fudschi Kameras am Sucher zu komponieren. Was mich verrückt macht ist zB die Tatsache, dass ich für Handygrafie ich meine Brille aufsetzen müsste. Sonst bräuchte ich deutlich längere Arme und ein noch größeres Smartphone.Weiterhin neige ich mit dem Smartphone gerne dazu aus „unüblicheren“ Winkeln zu schießen - und da sehe ich das Display nicht mehr richtig (tiefe position / hohe position). Was mich komplett überfordert ist die nur geringe Möglichkeit in der Apple Kamera App hier die notwendigen Einstellungen (zB Belichtungskorrektur) vorzunehmen. Okay - gibt bestimmt „ordentliche“ Apps für ein paar Groschen im Store… aber… Schwabe. You know?Deine Ergebnisse sprechen für sich und auch ich bin ja weit entfernt hier Kamera-Porno zu feiern. Ich würde auch mit keinem Satz behaupten wollen, dass ich mit meiner DSLM „bessere“ Bilder gemacht hätte - vermutlich wäre ich an 80% deiner Motive vorbeigelaufen. Mein Problem ist also noch mehr mein Auge als mein iPhone Display. Thats it.Keep on shooting and sketching!Lg, oli
Mit Volker entspann sich ab dem 04. Oktober 2023 folgender Austausch:
Hallo, Stefan,
ein sehr gelungener Beitrag, der mich motiviert, mehr mit meinem Handy zu fotografieren. Bisher habe ich mich beinahe geschämt, als ernsthafter Fotograf, das Handy als Kamera ernst zu nehmen, obwohl gelegentliche Versuche eher das Gegenteil bewirken sollten!
Besonders gut hat mir gefallen, Infos zu den Fotos beim Draufgehen mit der Maus zu erhalten. Verrätst Du mir, wie das geht?!
Viele Grüße Volker
Hallo Stefan,
vielen Dank für Deine freundliche Antwort! Auch, weil ich die Qualität der Handy-Fotos staunend respektiere, werde ich mich zukünftig weniger „schämen“, wenn ich mit meinem Handy fotografiere.
Eins muss ich aber noch loswerden. Ich bewundere alle Menschen, wie Dich, die so wunderbar zeichnen können! Eine Gabe, die mir, leider, völlig abgeht. Oft gibt eine Zeichnung eine Situation, eine Begebenheit treffender wieder als ein Foto.
Auf Deine Blogbeiträge freue ich mich jedesmal!
Viele Grüße Volker
Dirk schrieb auch am 4. Oktober 2023:
Lieber Stefan, es freut mich ungemein, seit gefühlt langer Zeit von dir zu lesen, und dann auch noch in Qualität und Umfang so wunderbar! Vorweg möchte ich dir sagen, dass dein Text bei mir nicht den Eindruck einer Ambivalenz nährt. Mir scheint, dafür ist in und zwischen den Zeilen einfach zu wenig pessimistische Spannung. (Oder gibt es auch positive Ambivalenzen? Ich habe den Verdacht, das heißt dann anders...) Ich mag deine breitbandige Interessenslage sehr, und dann auch noch lesen zu dürfen, wie du das so für dich selektierst, ist etwas, in dem sich viel Erhellendes zeigt. Für mich zeigt sich die Entscheidungslage pro/contra Kamera oder Handy tatsächlich gar nicht. Mein diesbezügliches Seelenheil resultiert aus einer für mich aufwandlosen Verfahrensweise. Kommunikation ist Smartphone, Fotografie ist Kamera. Und die habe ich tatsächlich seit längerer Zeit immer dabei. Mich entschleunigt und stabilisiert das total. Die Anwendungen sind geklärt, und der Blick, das Handling, die Gewohnheit und Routine sind bzgl. Fotografie an eine einzige Technik geknüpft. Außerdem ziehe ich einen nicht unerheblichen Teil meiner Kreativität aus der Tatsache, diese sexy Kamera zu nutzen, statt eines Foto-Telefons. Spannend ist deine Aussage, „das Ergebnis zählt“. Einerseits sehe ich das auch so, andererseits hört Fotografie für mich mit Drücken des Auslösers auf. Fotografie ist also das, was vorher geschieht. Könnte sein, ich habe gerade meine eigene, kleine Ambivalenz entdeckt… ;-) Vielen lieben Dank für deine bereichernde Publikationen, ich wünsche Dir weiterhin eine beständige Kreativität und ein beseeltes Tun und Schaffen! Herzlich, Dirk
Und auch Werner, der seinen Blog leider zum Ruhen gebracht hat, hat mir am 9. Oktober geschrieben:
Lieber Stefan, es ist schön von dir zu lesen. Nicht nur, weil du was zu sagen hast, sondern auch wegen deiner Art, wie du es sagst. Es sind wohl gewählte Worte, die du zu schönen Sätzen zusammenstellst. Es braucht eben nicht nur ein Foto, nein, auch das Wort dazu macht Eindruck.
Du weißt, ich bin ja nicht so der Pixelschubser; will sagen: Technik ist mir bis zu einem gewissen Grad egal. Na ja, ich weiß schon, was sie mir wert ist, was sie mir bedeutet und natürlich auch, für welchen Zweck ich was brauche. Hier schreibst du nun über ein Handy, bzw. über Handys als Kamera. Du bist nicht der erste, der in diesem Jahr den Entschluss gefasst hat und ohne weitere Kameras – nur mit Handy – im Urlaub Fotos gemacht hat. Ist ja auch verlockend. Du beschreibst es ja selbst.
Und doch. Ich zweifele. Mein kleines „Philosophenherz“ will da nicht mitgehen.
„Photographieren und Leben, das hängt eng zusammen, ist kaum voneinander zu trennen. Was sich beim einen verändert hat, wirft ein Licht auf das andere. Zum Beispiel hob man damals eine Kamera vors Auge, um dann durch den Sucher zu schauen. Jetzt halten wir das Gerät, meistens ein Smartphone, eine Armlänge von uns weg und schauen auf einen kleinen Bildschirm, nicht mehr auf das Objekt selbst. Die neue Körperhaltung beschreibt eine neue innere Haltung. Der Akt des Photographierens ist von dem technischen Gerät bestimmt, nicht mehr vom Verhältnis unserer Augen zum anderen und zur Welt“ (Wim Wenders, Sofortbilder)
Diesen Worten möchte ich mich anschließen. Und möchte ergänzend sagen: Mir ist das Bilder machen mit meinem Smartphone um Erinnerungen festzuhalten, zu einfach. Ich muss mich in Situationen, in Stimmungen, in Gefühle begeben. Dazu gehört auch das Arbeiten mit der Kamera. Das Suchen der Einstellungen, der Blick durch den Sucher, das Einlassen auf den Moment. All das gehört für mich dazu.
Aber auch du sprichst ja von deinem „Dilemma“ und den Gedanken, die dich beim Fotografieren begleiten. Und vielleicht liegt darin genau das Geheimnis guter Fotos?
Das Smartphone ist auf die Schnelle ein gutes Medium. Mir wird es wahrscheinlich nie die Kamera ersetzen können. Sind die technischen Voraussetzungen auch noch so gut.
Ganz liebe Grüße,
Werner
Lieber Werner,
das Zitat von Wenders mag ich sehr. Ich hatte es oben bei Oliver schon eingeleitet: Echte optische Sucher sind unmittelbar. Sie zeigen mir nichts, sie lassen mich vielmehr etwas sehen, das ist ein großer Unterschied. Und gleichzeitig hat sich diese Einstellung unter Bezug auf das Smartphone als Fotowerkzeug bei mir relativiert. Denn klar, ich schaue auf das Display und halte es in einem Abstand vor meine Augen, bei dem ich (altersweitsichtig) überhaupt etwas erkennen kann. Ich nehme also eine distanzierte, fast abwehrende Körperhaltung ein. Gleichzeitig führt das aber dazu, dass ich auf das Display eigentlich nur noch einen flüchtigen Kontrollblick werfe. Seine Fläche in meinem Gesichtsfeld ist klein, während der Ort und die Situation mich vollständig umgeben.
Am letzten Wochenende war ich mit Freunden und meinem Sohn Bogenschießen. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit. Ich schaue aufs Ziel, den Bogen führe ich intuitiv. So ähnlich ist es auch mit dem Smartphone.
Herzliche Grüße: Steff