Auf Reisen

[Sylt 2023] 108 Abzüge, 8,64 Euro

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108 Bilder. Das sind 3 x 36, wie zu Filmzeiten. Damals hätte ich auf 3 Wanderungen über die Insel Sylt, keine drei Filme verschossen. Ich sparte mit meinen kostbaren Klicks, schließlich kam das Erwachen spätestens an der Kasse der 'Lerche' (dem größten Foto- und Musikhaus in Stuttgart in den 90ern), wo man für eine (!) Filmentwicklung mit Abzügen locker 25 Mark anlegen musste (wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht). Die Filmkosten gar nicht eingerechnet. Das riss tiefe Löcher ins Studentenbudget.

Ich habe also mal wieder Abzüge machen lassen. Jedes Jahr im November treffe ich mich auf Sylt mit einem guten Freund. Oft sind wir in einer kleinen Gruppe dort, dieses Jahr waren wir nur zu zweit. Wir passen die halbwegs trockenen Zeiten ab und wandern jeden Tag wenigstens 20.000 Schritte. Am Meer entlang oder durch die Dünen, an der rauhen Westseite, der Nord- oder Südspitze oder am Watt. Drei Touren, um den Kopf frei zu machen und dem November ein weniger graues Image zu verpassen. Sylt im November ist eine Insel im touristischen Halbschlaf. Sie wirkt freier und wilder als in den Sommermonaten:

Man setzt Fuß vor Fuß in den unberührten Sand der ablaufenden Flut. Die Sanderlinge huschen vor uns umher, bis sie irgendwann genug von uns haben und in einem respektvollen Bogen um uns herum und hinter uns zurück an den Spulsaum flattern. Am Watt stochern Austernfischer zwischen den aus Weiden geflochtenen Buhnen. Wendet man sich ins Inselinnere, dann fühlt man sich in der Ferne. Tundraartig liegen Matten niederer Heckenrosen, Gräser, Heidekräuter, Moose und Flechten um wassergefüllte Senken und klammern sich an die sandigen Abhänge der Dünen. Bohlenwege und Tampelpfade erschließen das Gebiet, die meisten Flächen aber sind des Menschen seit einigen Jahren ledig.

Der einzige Fußweg, der das Naturschutzgebiet Wanderdünde erschließt.
Der einzige Fußweg, der das Naturschutzgebiet bei der Wanderdüne erschließt.

Tino war dieses Jahr mit der 'großen' Kamera unterwegs, ich selbst hatte wieder nur das Pixel 7 pro in der Tasche. Wir hatten uns nicht abgestimmt. Das hatte zur Folge, dass ich mich nach dem Sommerurlaub in Dänemark gleich nochmals intensiv mit dem Smartphone als Werkzeug auseinandersetzen musste. 

Wie viele Klicks ich gemacht habe, hab ich gar nicht gezählt. Dass ich am Ende ausgerechnet 108 Bilder, "drei Filme" ausgesucht habe, ist reiner Zufall. "Ein Film" pro Tour, etwa. Die Bilder habe ich alle in Snapseed nachbearbeitet, direkt auf dem Smartphone, im ICE nach Hause. Ein einheitlicher Umgang mit Farbe und Kontrasten, dazu - ja - ein bisschen Filmkorn.

Nur Licht und Ferne
Straßenfotografie auf der Düne

Das Pixel 7 pro macht eher ein bisschen weiche Aufnahmen. Die Entwickler haben es sich zum Glück verkniffen, im Standard zu überschärfen und legen Ihr Hauptaugenmerk eher auf Farbe und Dynamik der Aufnahmen. Nachträglich Filmkorn hinzuzufügen sorgt für Struktur in den Bildern, ohne den Fehler des Überschärfens selbst nachzuholen.

Besonders gut wirkt das Korn bei Aufnahmen mit 10-fachem bis 30-fachem Zoom. In diesen Bereichen ist das Pixel darauf angewiesen, im Hintergrund eine (nicht nachvollziehbare) Vielzahl von Bildern auszuwerten und daraus mit Hilfe von KI eine Aufnahme zu 'raten'. Was ich nicht unbedingt erwartet hatte: Wie glaubwürdig und normal diese Aufnahmen mit etwas Filmkorn und auf Fotopapier aussehen würden!

Sylt als - trotz zu viel Tourismus, trotz zu viel Geld - wilde und freie Insel zu zeigen, ist das Ziel dieser Serie. Klar, denn das ist die Wirkung der Insel auf mich. Die Himmel driften ein wenig weiter ins Türkis als es bei einem auf einem korrekten Weißabgleich der Fall wäre. Die Kontraste glühen mit etwas mehr Dramatik, das Korn fängt diese Eingriffe wieder auf und schafft Vertrautheit. Als es die DDR noch gab, hatte ich mir von einem Urlaub bei meiner Oma dort einige Orwo-Farbfilme mitgebracht. Den Charakter dieser Filme habe ich ähnlich in Erinnerung. Mittlerweile sind die Abzüge leider rotstichig geworden und die Farben nicht mehr vergleichbar. Aber vielleicht ist das so mit Erinnerungen. Es ist nicht zentral, ob jedes Detail stimmt. Wichtig ist, wie man eine Situation gefühlt hat.

Diese Aufnahmen von Sylt vermitteln das Gefühl meines Syltnovembers. Auf 108 Abzügen für 8,64 Euro. Bilder sind erst fertig, wenn Sie auf Papier sind.

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Gottes Werk und Teufels Beitrag. Was man so am Strand findet.

PS: Eine Auswahl von gut 60 Bildern habe ich auf Instagram hochgeladen.