Dia

John F. Kennedys Amerika

von
veröffentlicht am

Als wir den Haushalt auflösen mussten, vor einigen Jahren, da war es nur ein Griff. Dias? Wer weiß, vielleicht sind da ein paar alte Familienbilder drauf. Die schauen wir später durch. Dass es dann Jahre dauert, bevor man in eine solche Schachtel wirklich hineinschaut, das ist normal, wahrscheinlich. Hier waren es keine Familienbilder. Es war eine Reise in die vereinigten Staaten von John F. Kennedy. Vom Stand der Baustelle des PanAm-Buildings leite ich das Jahr der Reise ab. 1963. Deutschland war geteilt, Berlin seit zwei Jahren durch eine Mauer getrennt. Mein eigener Vater war seit 3 Jahren 'Republikflüchtling' und schmiedete 'im Westen' Hochzeitspläne. Aber der Vater meiner Frau war offenbar mit seiner Pfadfindergruppe per Schiff in die USA gereist und hatte eine Kamera im Gepäck.

Dias sind etwas wunderbares. Auch nach fast 60 Jahren laden sie mich ein, in ihr Licht einzutauchen. An einen Ort zu gehen, den ich zu kennen glaube und den ich doch aus dieser Zeit nicht kennen kann. Dieses Bild ist älter als ich. Die Autos sind längst vergangen, die meisten Menschen auf dem Bild werden gestorben sein. Ein riesiges Schild wirbt für Kanadische Pelze. Die markanten Häuser gibt es noch und sie wirken ganz selbstverständlich und gegenwärtig auf uns, wenn wir heute an diesen Ort reisen. Auch Macy's ist noch immer dort: Google Streetview .

Also lasse ich die Gegenwart, die solche Reisen sowieso nicht erlaubt und nehme Euch mit nach in das New York, Chicago und Washington, wie mein Schwiegervater als junger Erwachsener erlebt hat:

Werden Daten das in Zukunft können? Werden unsere Kinder oder sonst jemand sich in 60 Jahren durch unsere Bilddaten graben? Wenn wir nicht mehr da sind? Werden Sie so eine Freude daran haben wie ich an diesem einen letzten Bild eines anonymen Parkplatzes in Chicago?

Ich freue mich über Kommentare per E-Mail. Bitte nenne den Artikel im Betreff und einen Namen Deiner Wahl im Kommentar. Mit der Übermittlung einer E-Mail stimmst Du der Speicherung der übermittelten Daten und der Veröffentlichung der Nachricht an dieser Stelle zu.

 

Dirk schrieb am 13.03.2021:

Lieber Stefan,

herzlichen Dank für deinen Beitrag zu den alten Amerika-Dias! Ein für mich wunderbares Beispiel dafür, wie wichtig es sein kann, Fotos mit Text zu verweben. Dank deiner Informationen und Gedanken ist ein "Nachreisen" möglich. Was die Fotos mir zeigen, ist eine völlig fremde Welt, in der wir aber noch vorkommen! Wer hätte sich in diesen Tagen damals vorstellen können, wie wir heutzutage leben? Halte sie gut in Ehren, die Dias...und Empfindungen. Diese Dias zeigen mir aber noch etwas anderes: Der gestaltersiche Aufwand, den wir heute gerne in die Fotografie leiten, ist für diese deine Dias nicht vonnöten gewesen, um sie für dich und die Betrachter heute als herrliche Fotodokumente erscheinen zu lassen. Vielleicht sollten wir uns zu den für uns so wichtigen, tiefgründigen Vorbereitungen, auch eine intuitive Lässigkeit beim Fotografieren erhalten. Davon leben diese Dias meines Erachtens sehr!

In meiner Familie hatten Dias einen festen Platz bis etwa in die späten 90er Jahre. Sehr präsent sind mir noch die Dia-Abende, die meist im Spätsommer stattfanden. Vor großer Leinwand und bei surrendem Projektor trafen sich einige Freunde und Familien, um sich gegeseitig die Reiseerlebnisse zu erzählen, und die Urlaubsdias zu zeigen. Nach 2 Wochen warten auf die Entwicklung, und eine meist spannende Phase des Einrahmens, sehnten wir diese Abende als krönenden Abschluss förmlich herbei.

Zu deinen Fragen: Werden Daten das in Zukunft können? Werden unsere Kinder oder sonst jemand sich in 60 Jahren durch unsere Bilddaten graben? Wenn wir nicht mehr da sind? Werden Sie so eine Freude daran haben wie ich an diesem einen letzten Bild eines anonymen Parkplatzes in Chicago?

Ich denke, ja! Unsere Daten sind doch nichts anderes, als digitale Dias. Sie verweilen in ihren "Magazinen", und lassen sich mit ähnlichem Aufwand "projezieren". Man muss es nur tun. Hilfreich könnte sein, eine bewußtere Kultur dessen zu entwickeln und am Leben zu halten. Ich z.B. zeige meinen Kindern immer mal wieder meine fotografischen Ergebnisse, oder schenke ihnen Sticks mit dem Querschnitt eines Jahres. Warum alles vergraben? Den Gedanken, ob sich die eigenen Kinder mal daran erfreuen, läßt sich vorgreifen, indem man sich gemeinsam dran freut. Einzig unterschiedlich dazu ist es, nach langer Zeit alte Fotos zu "finden". Das Schauen darauf, mit den vergangenen Dingen, Menschen, Zeiten, löst andere Emotionen aus, denen sich wohl nicht vorgreifen läßt. Dieser sentimentale Schmerz des Zurücksehnens, den das Betrachten dann mit sich bringt, den kann man einfach nicht vorwegnehmen.

Freundliche Grüße aus Siegen,

Dirk

Stefan schrieb am 13.03.2021:

Vielen Dank, Dirk für Deine Gedanken und Antworten. Was Bilder relevant macht, ist ein Thema, das mich seit langem begleitet. Vieles klärt sich, wenn man sich klar macht, dass jedes Bild immer auch vom Fotografen erzählt. So ist das ja auch bei den Bildern hier im Beitrag. Ihre Bedeutung vervielfacht sich für mich, weil eine Verbindung besteht. Und vielleicht färbt das sogar noch ein bisschen durch, indem ich mit dem Rahmen, woher die Bilder stammen (viel mehr über diese Reise wissen wir selbst nicht) eine Anknüpfung anzubieten versuche. 

Meine Kinder starten eben erst so richtig ins Teenageralter durch. Das war die Zeit, in der ich selbst begonnen habe zu fotografieren und gleichzeitig maximal desinteressiert an alten Bildern war. Heute äußert sich das bei meinen Kindern so, dass von denen schon auch mal schmerzfrei der Bildspeicher auf dem Handy zurücksetzt wird, wenn zu wenig Platz da ist. Ohne vorherige Sicherung. Weg. Das ging früher nicht ganz so schnell. 

 

Herzliche Grüße: Stefan

Oliver schrieb am 14.03.2021:

Lieber Stef,
 
ist es der (Dia)Film der die Zeit der 60er Jahre in diese Farben taucht, oder war die Welt der 60er Jahre so?
Die 70er dann eher etwas mehr orange-rot? 
Es ist jedenfalls interessant, wie alleine schon die (Fehl)Farben der Dias ein bestimmtes Zeitgefühl erzeugen. 
 
Mein Papa hat als er verrentet wurde seine 8.000 Dias digitalisiert. Sie sind für mich heute (mit persönlichem Bezug zu den Bildern) die Möglichkeit innerhalb von Sekunden in den Moment zurückzuspringen. Inkl. Gerüche, Geschmäcker, Gefühle. Instant. 
 
Deine Frage ist korrekt: Werden unsere Kinder das bei den 100.000den von Bildern in einer altertümlichen Software namens „Lightroom“ das auch schaffen? Haben wir ggf. einfach zu viele Bilder um später überhaupt nochmals Beachtung zu finden? Zeigen wir unsere Bilder überhaupt noch „oft genug“ (es lebe der Diaabend). 
 
Anstelle von Dias bin ich immer mehr ein Freund des gedruckten Bildes. Digitale Bilder werden schnell gelöscht. Gedruckte Bilder werden irgendwie nie weggeworfen. Komisch, gell?
 
lg, oli

Stefan schrieb am 14.03.2021:

Lieber Oli, ja, wenn ich den Blick über den Monitorrand hebe, schaue ich auf eine kiloschwere Kiste mit Abzügen und Negativen. Papierbilder waren immer mein Ding, Dias waren die Ausnahme. Aber das hat sich ein bisschen gedreht. Ich finde Dias einfach unglaublich unmittelbar. Schon mit einem Gucki betrachtet leuchtet mich die Sonne durch die Bilder an, noch viel mehr als man es am Monitor (auch schon) hat.

Mein Medium für die Bilder von Dauer ist heute trotzdem auch wieder das gedruckte Bild, am liebsten in Form von Fotobüchern. Und das sind auch die Bilder, die sich die Kinder ansehen, und die man später auch noch ansehen wird. Die vielleicht sogar (m)eine Generation überdauern.

Herzliche Grüße: Stefan

Marc schrieb am 14.03.2021:

Bei den New York Bildern ist es ja noch einfach. Bin ja dann aber auch schon viel in Chicago rumgelaufen bzw geradelt. Große Parkplätze am mit Booten dahinter gibt’s eigentlich nur rund um Soldier Field. Und einen Flughafen dahinter gibt’s nur am Burnham Harbour. Wenn du Richtung Norden fährst etwa auf der Höhe des heutigen Waldron Parking Decks und nach rechts hältst - das würdest Du heute auch noch bekommen. 
Parkplatz mit Schiffen dahinter und das Merrill Meigs Field mit ein paar kleinen Fliegern 

Stefan schrieb am 14.03.2021:

Die Autos hätten sich womöglich ein bisschen geändert. Schön dass Du Dich auf meinem Blog meldest, das freut mich sehr, Marc!

Es macht mir -wenn mal Zeit für so was ist- tatsächlich Spaß, die Ziele früherer Reisen per Google Streetview oder wenigstens als Satellitenbild anzusteuern und mal zu sehen, wie es da heute so aussieht. Bei Deiner Beschreibung gehe ich aber davon aus, dass Du da vor nicht allzu langer Zeit mal gewesen bist, oder?

Herzliche Grüße: Stefan

(Bist Du momentan in der Homebase oder trotz allem unterwegs?)

Marc schrieb am 14.03.2021:

Stimmt!

Glaube das erste mal in 2006 und dann noch ein paar mal.
Was ich vergessen habe: Die Kuppel hinten: Adler Planetarium
Werbung: https://hastenteufel.name/blog/page/1/?s=chicago

Grüße aus dem HQ in Stuttgart

 Werner schrieb am 15.03.2021:

Hallo Stefan,

 toller Beitrag, der mich sofort abholt. Woran liegt das? Ich suche immer wieder Antwort(en) auf die Frage,  warum mich diese „unperfekten“ Aufnahmen der Vergangenheit so berühren. Auch dann, wenn sie nicht aus meinem persönlichen Lebensumfeld stammen. Was ist es? Farben? Stimmungen? Ein melancholischer Blick zurück?

Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass die Fotos eine lang zurückliegende Geschichte erzählen. Man kann hineintauchen und sich hineindenken. Etwas Wunderbares.

 Liebe Grüße,

Werner  

 

Stefan schrieb am 15.03.2021:

Das Rätseln, lieber Werner, ist uns allen gemeinsam. Ich hatte auch den Verdacht, dass es womöglich etwas mit unserem Alter zu tun hat. Wir haben den Wechsel von analog zu digital alle erlebt. Die analoge Zeit liegt für viele von uns schon lange genug zurück, um bereits ihre Nostalgie zu entfalten.

Mir scheint aber aber auch etwas in diesem Medium zu stecken, das uns an einem anderen Punkt abholt als ein perfektes Digitalbild. Der Verzicht auf die technische Perfektion schafft vielleicht einfach den Raum für einen direkteren Zugang?

Liebe Grüße: Stefan