Auf Reisen

[ohne Kamera] Frei(z)heit zeichnen

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Wenn die Zeit nicht in Sekunden oder Minuten bemessen ist, sondern in Stunden und halben Tagen, dann ist es leichter, wieder in die Zeichnung zu finden.

Dem Fotografieren sagt man gerne nach, es sei nicht gut verträglich mit dem Takt eines Urlaubs, eines Ausflugs, der Familie. Als Fotografierender hält man seine Lieben auf - oder man ist abwesend. Und tut man das nicht, dann gleitet die Fotografie schnell ins Knipsen ab. Um wie viel mehr noch, muss das für das Zeichnen zutreffen?

Seit dem 'Relaunch' der Website steht oben in der Navigation die Skizze neben der Fotografie. In meinem Leben tut sie das schon wesentlich länger. Im Studium lernte ich vor allem zu zeichnen, zu entwerfen und zu konstruieren. Der Gebrauch der Kamera war Beiwerk. Jahre später drehte sich dieses Verhältnis: Die Zeichnung habe ich beruflich kaum noch gebraucht, als Hobby kam stattdessen die Fotografie nach vorn. Aber seit einigen Jahren ändere ich das erneut. Ich will zeichnen.

In einer Zeichnung ist viel Freiheit. Mehr noch als mit einer Kamera bestimme ich mit einem Stift oder Pinsel in der Hand, welche Motivteile in mein Bild finden und welche nicht. Ich lasse weg, verschiebe Zusammenhänge, lege Proportionen und Prioritäten fest. Die Fallhöhe ist dabei aber für mich größer als in der Fotografie. Mit etwas Übung bekomme ich ein Foto technisch immer einigermaßen hin. Bei einer Zeichnung fällt es mir dagegen vor allem leicht, sie zu vermurksen. Wenn ich zu 'rotzig' arbeite, sieht sie vielleicht unfertig oder missraten aus, wenn ich zu 'fleißig' bin, wirkt ein Blatt schnell unsicher und kraftlos. Und es durchaus möglich, beides gleichzeitig 'hinzubekommen'. Es fehlt mir an Routine, obwohl ich schon vor Jahren wieder mit einem Skizzenbuch begonnen habe.

Ja, auch mit der Kamera in der Hand 'malt man mit Licht', zumindest ist das eine beliebte Formulierung. Aber trifft sie zu? Im Idealfall ist das so. Fotografie ist schnell. Sie lebt vom Augenblick. Vom Blick für ein Motiv, vom richtigen Moment. Das kann bedeuten, dass man auf diesen Moment Stunden, Tage oder Wochen lauert oder es bedeutet, dass man sich für diesen Moment in einen Flow begibt, eintaucht in das was man tut, hier jetzt, sich auf alles einlässt. Es kann bedeuten, dass man Licht und Motiv akribisch konstruiert oder dass man zu einem Jäger oder Sammler wird. Oft genug ertappe ich mich aber dabei, in keinen dieser Zustände zu finden. Oft merke ich erst zu Hause, dass alle Fertigkeiten in der Bildbearrbeitung aus einem mittelprächtigen Foto kein leuchtendes machen.

Zu zeichnen teilt manches damit, zu fotografieren. Nur in Zeitlupe. Und das hat Folgen. Beim Zeichnen bin ich noch viel mehr bei der Sache. Ich studiere mein Motiv lange und intensiv. Mit jedem Strich auf dem Blatt gräbt sich die Erinnerung an den Moment immer tiefer ins Gedächtnis. Ich vergesse oft die Zeit und brauche viel zu lang aber am Ende habe ich etwas erlebt. Ein bisschen zusammengekrümmt auf einem alten Kanister sitzend oder an einer zugigen Hausecke angelehnt.

Ist die Zeichnung jetzt meine neue Fotografie? Nein. Sie lehrt mich Langsamkeit. Und genau hinzusehen. Das gilt sogar, wenn ein Motiv zu schnell vorübergeht, denn mit der Zeichnung kann ich auch Schnappschüsse nachholen, für die ich mit der Kamera zu langsam gewesen war. Der Mann bei der Burg aus Strandgut, der saß da nur in den ersten 10 Minuten 'für mich', dann ging er weg. Und der Mercedesfahrer, der seinen Hund vom Autositz aus Gassi führte, kam uns entgegnen und war natürlich innerhalb von Sekunden vorbei. 

Die gezeigten vier Seiten sind meine 'Ausbeute' des Pfingsturlaubs in diesem Jahr. Klar, es gibt auch Fotos. Aber eher für's Album als für den Blog. Vier Bilder in denen aber für mich eine schöne Woche kondensiert. Eine Flucht. Eine Flucht in die Langsamkeit.

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